Ganz oft haben wir das Gefühl, zwischen Verstand und Gefühl hin und her gerissen zu sein. Wem sollten wir besser folgen? Den Gefühlen? Oder dem Verstand? Das klingt so, als müssten wir uns für eine Seite entscheiden. Meiner Meinung nach greift diese Sichtweise zu kurz. Tatsächlich liegen die meisten Vorgänge unserer Innenwelt im Unbewussten. Unser Verstand erfasst nur einen Bruchteil unserer Gefühlswelt, auch wenn uns dies gar nicht so vorkommt. Und wir werden von irrationalen Überzeugungen gesteuert, ohne dass wir dies mitbekommen.
„Du bist immer dort, wo Deine Gedanken sind. Achte darauf, dass Deine Gedanken dort sind, wo Du sie haben möchtest.“
Rabbi Nachman von Breslow
Grundformen irrationaler Überzeugungen
In der rational-emotiven Therapie von Ellis wird davon ausgegangen, dass irrationale, meist unbewusste Überzeugungen für behindernde Emotionen und Verhaltensweisen verantwortlich sind. Ellis spricht von vier verschiedenen Grundformen solcher unrealistischen Denkmuster.
Muss-Forderungen
Die Überzeugung, jemand oder etwas müsste anders sein, als dies in der Realität der Fall ist.
Katastrophisieren
Der Gedanke, es sei schrecklich oder sogar eine Katastrophe, dass es nicht anders ist, als es ist.
Geringe Frustrationstoleranz
Die Meinung, die Person oder die Sache, die nicht so sein sollte, wie sie ist, sei nicht auszuhalten oder zu ertragen.
Persönlicher Wertverlust
Die Auffassung, dass man selbst oder andere verurteilenswerte entsetzliche Fehler gemacht haben.
Bei all diesen irrationalen Überzeugungen werden absolute Wünsche und Bedürfnisse mit absoluten Bewertungen miteinander verbunden. Dies ist in der Regel weder realistisch noch hilfreich. Denn dies führt zu verzerrten Haltungen und Gefühlen, die sowohl belastend sind, als auch Leid bei uns und anderen verursachen.
Das hilft weiter
Der erste Schritt zu einer Veränderung besteht darin, sich zu überlegen, wie hilfreich bestimmte Überzeugungen sind. Vielleicht ist Dir bereits aufgefallen, dass Du Dein Selbstwertgefühl an Deine Leistungsfähigkeit knüpfst. Du hast dann das Gefühl, dass Du nur dann etwas wert bist, wenn Du genug leistest. Ist dies hilfreich?
Möglicherweise bist Du aber auch der irrationalen Grundüberzeugung aufgesessen, dass Du Deinem Schicksal passiv ausgeliefert bist und nichts tun kannst, um Störendes zu verändern. Hilft Dir diese Überzeugung wirklich weiter?
Oder Du lebst Dein Leben nach den Erwartungen anderer. Kommt Dir das bekannt vor? Wie gehst Du mit Enttäuschungen um? Hast Du schnell das Gefühl, versagt zu haben?
Finde heraus, welche irrationalen Grundüberzeugungen Du hast. Versuche anschließend stattdessen hilfreichere zu finden. Ich möchte Dir an dieser Stelle ein paar Beispiele nennen, damit Du eine Idee bekommst, was ich meine. Du könntest Dir beispielsweise sagen, dass es völlig okay ist, Fehler zu machen. Denn: Aus Fehlern lernt man. Und jeder Mensch macht welche! Es ist daher überhaupt gar nicht möglich, keine Fehler zu machen.
Oder auch: „Mein Selbstwert ist nicht abhängig davon, was ich leiste. Ich bin liebenswert, so wie ich bin – mit allen Ecken und Kanten. Ich muss nicht die Erwartungen anderer erfüllen.“ Das ist auch gar nicht möglich, zumal Dein Umfeld auch sich widersprechende Erwartungen an Dich haben könnte. Was solltest Du dann tun?
Und gerade für Menschen in helfenden Berufen könnten folgende neue Überzeugungen sehr hilfreich sein: Ich muss nicht alles alleine schaffen! Ganz im Gegenteil: Es ist ein Ausdruck von Stärke, sich Hilfe zu organisieren. Jeder Mensch braucht in seinem Leben mal Hilfe. Sich keine Hilfe zu holen, ist eine häufiger Fehler, den Menschen machen, die in einem Burnout landen.
Ursachen für irrationale Gedanken
Tatsächlich gehen unsere Verhaltens- und Denkmuster auf die frühen Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen in der Kindheit zurück. Diese formen unsere Grundüberzeugungen und lassen uns in manchen Situationen überreagieren.
Wenn man zum Beispiel als Kind wiederholt erlebt hat, dass man unerwünscht ist, kann sich dieses Gefühl in aktuellen Situationen mit ganz anderen Menschen reaktivieren. Dies passiert meistens unbewusst und daher unbemerkt.
Ein Erwachsener fühlt sich wieder wie in der früheren Situation und reagiert entsprechend verletzt. So könnte eine ganz harmlose Situation aufgrund dieser wiederholten Kindheitserfahrung zu ganz falschen Schlüssen führen.
Zum Beispiel kann es passieren, dass man in einer Gruppensituation keinen freien Platz mehr findet, da man vielleicht zu spät dran ist und dies auf dem Hintergrund des wiederholt Erlebten folgendermaßen interpretiert: „Hier ist wieder kein Platz für mich. Ich bin unerwünscht und ziehe mich deshalb zurück.“ Jemand ohne diesen Erfahrungshintergrund würde möglicherweise eher denken: „Wenn es keinen freien Platz mehr gibt, werde ich mir eben einen Stuhl holen.“
So gelingt Dir der erste Schritt hinaus
Es stellt sich daher die Frage, wie wir an diese unbewussten dysfunktionalen Beziehungsmuster herankommen, um sie verändern zu können. Der erste Schritt liegt in der Erkenntnis, dass sich bestimmte verletzende Kindheitserfahrungen lebenslang wiederholt haben. D.h. es geht darum, das emotionale Erleben dem damaligen Kind zuzuordnen.
Ich verstehe in dem Moment, dass dies nicht mein Gefühl als Erwachsener ist, sondern das kindliche Gefühl von damals, das in der jetzigen Situation einfach reaktiviert wird. In dem Moment, in dem ich in eine Beobachter*innen-Position gehen kann, werde ich von diesen Gefühlen nicht mehr so überflutet, da ich sie mehr aus der Distanz wahrnehmen kann.
So kann es uns gelingen, an dieser Situation zu wachsen, anstatt in diesen sich wiederholenden Verhaltensmustern stecken zu bleiben.
Der Ausweg aus irrationalen Überzeugungen
Ellis hat als Teil der rational-emotiven Therapie das ABC -Modell entwickelt. Du kannst dieses Modell gut zur Selbsthilfe verwenden:
A steht für das auslösende Ereignis.
B umfasst die Überzeugungen – rationaler oder irrationaler Natur.
C beinhaltet die aus diesen Überzeugungen folgenden Emotionen und Verhaltensweisen.
Vielleicht sagt die „Die Geschichte mit dem Hammer“ von Paul Watzlawick aus seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ etwas. Anhand dieser Geschichte möchte ich Dir das ABC-Modell verdeutlichen:
Die Situation A ist folgendermaßen: Einem Mann, der ein Bild aufhängen möchte, besitzt nur einen Nagel, aber es fehlt ihm ein Hammer dafür.
Seine innere Überzeugung (B) lautet: Bestimmt wird sich mein Nachbar weigern, mir einen Hammer zu leihen!
Deshalb verhielt sich der Mann folgendermaßen (C), nachdem er an die Tür seines Nachbarn geklopft und dieser ihm die Tür geöffnet hatte: Bevor sein Nachbar überhaupt einen Ton sagen konnte, schrie er ihn wütend an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
Dieses Beispiel macht deutlich, wie sehr unsere inneren Überzeugungen unsere Gefühle und unser Verhalten kontrollieren.
So veränderst Du unrealistische Denkmuster
Möchtest Du bestimmte Gefühle oder aber ein gewisses Verhaltensmuster verändern, ist es sinnvoll sich zuerst zu fragen, ob Du die belastende äußere Situation oder Deine emotionale Reaktion darauf verändern möchtest. Dafür ist es wichtig, einzuschätzen, wie realistisch die von Dir angestrebte Lösungsmöglichkeit ist. Erscheint eine Veränderung der Situation eher unwahrscheinlich, lässt sich vielleicht eher Deine emotionale Reaktion darauf verändern.
Dies lässt sich aber nur mit hilfreichen und realistischen Überzeugungen erreichen. Nun kommt das ABC-Modell ins Spiel. Es unterstützt Dich dabei, problematische Situationen, begleitende Gedanken und unangemessene Gefühle und Verhaltensweisen zu unterscheiden.
Du kannst Dich also selbst beobachten und die Situation nach dem ABC-Schema beurteilen:
A: Beschreibe die Situation so genau wie möglich.
B: Was denkst Du darüber?
C: Zu welchen Emotionen und Verhaltensweisen führen Deine Bewertungen dieser Situation? Ist das angemessen und tut Dir das gut?
Kurz- und langfristige Konsequenzen unseres Verhaltens
Zudem ist es hilfreich, sich zu fragen, welche kurz- und langfristigen Konsequenzen das eigene Verhalten mit sich bringt. Fällt es uns schwer, aus unseren Erfahrungen zu lernen, wählen wir eher die kurzfristig positiven Konsequenzen, selbst wenn uns unser Verhalten langfristig schadet.
Zum Beispiel kann es in stressigen Situationen auf den ersten Blick leichter erscheinen, sich mit Süßigkeiten zu entspannen oder zu beruhigen. Wenn man dies aber zu häufig tut, führt es langfristig dazu, dass man immer mehr zunimmt, was den Stress eher noch verstärkt.
Lernt man dagegen, kurzfristig Spannungen auszuhalten und sich zu überlegen, was einem auch langfristig helfen würde, ließe sich vielleicht die Erfahrung machen, dass körperliche Bewegung die Spannung abbauen könnte oder aber mit einer Freundin über das Erlebte zu sprechen. Dies sind konstruktivere Verhaltensweisen, als sich mit Süßigkeiten vollzustopfen.
Persönliche Entwicklung bedeutet, ein größeres Spektrum an Erfahrungen und verschiedenen Verhaltensweisen nutzen zu können. Dies mag auf den ersten Blick mühsam erscheinen. Und tatsächlich erfordert es auch erst einmal eine bewusste Entscheidung für Veränderung und eine gewisse Frustrationstoleranz!
Wie beim Ausdauertraining wird dies aber auch mit regelmäßiger Übung leichter. Je mehr wir aus wiederholten Erfahrungen lernen, dass es uns langfristig hinterher besser geht, desto mehr steigert sich unsere Motivation dafür. Es lohnt sich daher, unbedingt dran zu bleiben!