Früher fiel es mir schwer, den Stress zu bemerken und frühzeitig gegenzusteuern, bevor er chronisch wurde. Irgendwie schien ich mich Stück für Stück immer mehr an den schon chronischen Stress zu gewöhnen. Es fiel mir dann nicht auf, wie mein Körper immer mehr darauf reagierte und ich mich immer näher an den Abgrund katapultierte. Deswegen finde ich es wichtig, bewusst diese Stress-Spirale wahrzunehmen und frühzeitig darauf zu reagieren.
Die Alarmreaktion
Der Stress-Forscher Hans Seyle hat in seinem allgemeinem Anpassungssyndrom drei verschiedene Stufen beschrieben: Alarmreaktion, Widerstandsstadium und Erschöpfungsstadium.
Mit der Alarmreaktion, auch Notfallreaktion genannt, reagieren wir auf Gefahren im Außen, aber auch auf subjektiv empfundene Gefahren. Wir reagieren somit auf akuten Stress mit einer Angriff- oder Fluchtreaktion. Wenn wir die Gefahr bewältigen können und wir wieder Kontrolle über unser Leben gewinnen, ebbt die Alarmreaktion ab und wir entspannen uns wieder. Wir sind dann sogar bereit für die nächste Herausforderung.
Das Widerstandsstadium
Zu der zweiten Stufe, dem Widerstandsstadium kommt es dann, wenn die Stressbewältigung nicht so gut gelingt und eine Belastung der anderen folgt. Wir haben dann nicht mehr das Gefühl, Kontrolle über unser Leben zu haben. Aus akutem Stress wird chronischer Stress. Wir brauchen dann auch viel längere Zeit, um wieder entspannen zu können als dies bei der Alarmreaktion der Fall ist. Der Organismus stellt sich auf harte Zeiten ein. Evolutionär gesehen, diente diese Reaktion dem langfristigen Überleben in schwierigen Situationen.
Das passiert im Körper bei chronischem Stress
Wenn der Körper versucht, sich gegen die Belastungen durch chronischen Stress zu verteidigen und den länger andauernden Stressoren etwas entgegenzusetzen, passiert folgendes im Körper: Das vegetative Nervensystem, das für Erregung und Entspannung zuständig ist, und das Gehirn bleiben in permanenter Alarmbereitschaft. Der Körper bleibt in der Alarmreaktion hängen, ohne sich zwischendurch erholen zu können.
Das Stresshormon Cortisol wird von der Nebenniere in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Der Blutzuckerspiegel steigt an und es kommt zu vermehrtem Fett- und Eiweißabbau. Cortisol ist der Gegenspieler von Insulin, durch das der Blutzucker abgebaut wird. Cortisol sorgt auf längere Sicht für die Schwächung der körpereigenen Abwehr. Das Risiko für Infektionen und Entzündungsreaktionen, aber auch für Krebs, erhöht sich. Auch der Blutdruck kann auf gesundheitsgefährdende Werte ansteigen.
Der Pegel des Erregungshormons Noradrenalin erhöht sich, während Adrenalin weniger ausgeschüttet wird. Auch der Spiegel des Nervenüberträgerstoffes Dopamin sinkt. Dopamin wird bei Belohnungen und positiven Selbstbestärkungen ausgeschüttet. Ein Dopaminmangel sorgt für eine Verringerung von Glücks- und Zufriedenheitsempfinden.
Auch der Neurotransmitter Serotonin, wird nunmehr weniger produziert, aber vermehrt verbraucht. Ein Mangel an Serotonin wird für chronische Müdigkeit und Antriebslosigkeit bei Dauer-Gestressten, aber auch bei Depressionen verantwortlich gemacht. Durch chronischen Stress kommt also der hormonelle Haushalt in Disbalance. Es dauert dann recht lange, bis der Körper sich auf eine sinnvollere Stressbewältigung umstellen kann. Der Stoffwechsel verändert sich, da sich der Körper auf lange Phasen von unzureichender Ernährung einstellt. Das Risiko für Bildung von Thrombosen oder für einen Herzinfarkt steigt. Menschen im Dauerstress haben daher häufig mit einer chronischen Überwachheit, heftigen Entspannungsproblemen sowie onzentrations- und Schlafstörungen zu kämpfen.
Veränderungen im Gehirn im Widerstandsstadium
Im 2. Stadium – dem sog. Widerstandsstadium – kommt es zu wesentlichen Veränderungen im Gehirn.
Wie bereits weiter oben beschrieben, wurde während der Alarmreaktion das Erregungshormon Noradrenalin vermehrt ausgeschüttet. Da der Noradrenalinspiegel nach Beendigung dieser Phase wieder unter Kontrolle gebracht werden konnte, wurden neue Nervenbahnen ausgebildet und alte Nervenverschaltungen stabilisiert. Dies war hilfreich, um angemessenere Stressbewältigungsstrategien für zukünftige Krisensituationen zu finden.
Im Widerstandsstadium hingegen führt die dauerhafte Erhöhung des Cortisolspiegels durch den langfristigen chronischen Stress dazu dass bereits gebildete Nervenbahnen im Gehirn destabilisiert werden. Dies führt dazu, dass Du auf neue Herausforderungen nicht so optimal reagieren kannst. Und Du kannst unter Umständen nicht mehr auf Bewältigungsstrategien zurückgreifen, die Dir vorher geholfen haben.
Erschöpfungsstadium durch Dauerstress
Welche Stadien des allgemeinen Anpassungssysndroms bei Dir auftreten und wie belastend sie für Dich sind, hängt davon ab, wie intensiv und wie lange die negativ empfundenen Stressoren auf Dich einwirken.
Die eben beschriebene Widerstandsreaktion ist nicht sehr lange durchzuhalten, da für uns die wiederholte Erfahrung von fehlender bzw. mangelnder Kontrolle sehr belastend ist. So gelangen wir dann ins Erschöpfungsstadium. Die ständigen Versuche, mit den ständigen Stressfaktoren umzugehen, laufen dann ins Leere. Es kommt zu einer Nebennierenschwäche durch das hormonelle Ungleichgewicht. Ängste, depressive Symptome und psychosomatische Erkrankungen sind oft die Folge davon.
Warum erzähle ich Dir das hier lang und breit? Unser Körper versucht uns mit Warnsignalen darauf aufmerksam zu machen, dass wir nun dringend etwas unternehmen sollten, um Stress zu reduzieren und alternative Stressbewältigungsstrategien umzusetzen. Spätestens jetzt ist also der Zeitpunkt zum Handeln!
Zwei gegensätzliche Krankheitsverläufe
Wenn Du bereits in der Erschöpfungsphase gelandet bist, hast Du vielleicht schon ein Erkrankungsmuster ausgebildet, das auch als „arbeitgeber:innenfreundlicher“ Krankheitsverlauf bekannt ist. Was bedeutet das genau? Du wirst nur am Wochenende, an freien Tagen oder im Urlaub krank und bist wieder fit, wenn der nächste Arbeitstag anbricht. Deinem Körper gelingt es also, gerade so gesund zu bleiben, bis die anstehenden Herausforderungen bewältigt wurden. Von einer „arbeitnehmer:innen-freundlichen“ Verlaufsform spricht man dann, wenn man hingegen besonders an Werktagen krank ist und am Wochenende dann wieder fit und putzmunter ist. Beruflicher Stress ist hierfür oft ursächlich. Die Regenerationsphasen reichen jedoch oft nicht aus, um genügend Kraft zu generieren, um die folgende Arbeitswoche ohne gesundheitliche Einschränkungen zu überstehen.
Für beiden Varianten gilt jedoch, dass man häufig noch über Monate, manchmal auch Jahre hinaus, krankheitsanfällig bleibt, selbst dann, wenn die Stressoren zwischenzeitlich reduziert wurden. Denn der Körper hat einen besonderen Umgang mit diesen gelernt und behält dieses Muster erst einmal bei. Je früher man also auf die Signale des Körpers hört und dem Stress entgegensteuert, desto höher ist die Chance, diese Krankheitsanfälligkeit möglichst schnell zu reduzieren.